Bundesratswahl – Richtungswahl?
Über die letzten Bundesratswahlen wurde schon viel berichtet. Trotzdem noch eine Schilderung aus meiner Sicht, als gewählte Stimmenzählerin und Mitglied im „Büro Nationalrat“. Ich erlebe Bundesratswahlen seit zehn Jahren und vieles bleibt immer gleich: Das Prozedere bei der Wahl, die Protagonisten, Mitwirkende, Journalisten, Kamerateams, die Besucher und eine Unmenge verlegter Kabel.
Didier Burkhalter tritt zurück – wer wird sein Nachfolger? Interessenten liessen nicht lange auf sich warten. Ich habe diese Situation schon mehrmals erlebt und staune immer wieder, wie schnell jemand Bundesratskandidat wird! Ein hoher Beamter hat mir einmal gesagt, dass 90% aller National- und Ständeräte, Bundesrat werden möchten...
Einige Politiker nützen die BR-Wahl auch dazu, auf sich aufmerksam zu machen. Sie bringen sich in der Wandelhalle wirkungsvoll in Stellung und achten streng darauf, dass sie auch von den Kameras erfasst werden! Sie geben Tipps ab und werden nicht müde, den Medien ihre Meinungen darzulegen.
Ich treffe den „Favoriten“, Ignazio Cassis kurz in der Garderobe. „Es kommt gut, Du brauchst nur starke Nerven, Ignazio!“ rief ich ihm zu und er lächelte vielsagend zurück. Ich kenne ihn bereits seit 2007, als ich in den Nationalrat gewählt wurde. Er machte auf mich von Anfang an einen guten, beständigen Eindruck und dieser ist auch nach zehn Jahren nicht verblasst. Im Gegensatz zu vielen anderen Politikern, die ich in Bern kennenlernte...
Ein paar Tage vor der Wahl werden bei den Parteien mit den BR- Kandidaten Hearings abgehalten. Dann fällt oft schon der Entscheid, welcher Kandidat von welcher Partei unterstützt wird. Man sagt aber, dass nie so viel gelogen wird, wie vor einer Bundesratswahl! Jeder Kandidat will in den Hearings möglichst vielen - im besten Fall allen - gefallen. Viele verbiegen sich und sagen bei jeder Partei das, was die Mitglieder gerne hören wollen. Und da staune ich oft, wie leicht sich sonst so skeptische Parlamentarier um den Finger wickeln lassen. Die Anfälligkeit für das, was man gerne hören möchte verdunkelt oft vielen den Verstand!
In Erinnerung an jene „Nacht der langen Messer“ vor der Bundesratswahl, habe ich eine total überfüllte „Bellevue“- Bar und eine pumpsvolle Eingangshalle. Nochmals versuchte man für die bevorzugten Kandidaten Werbung zu machen und andere zu überzeugen.
Dann kam es zur eigentlichen Wahl. Nach der Verteilung der Stimmzettel, sammeln die Weibel diese in speziellen Urnen wieder ein. Danach begibt sich die Stimmenzählergruppe in das sogenannte Bundesratszimmer im Wandelhallenbereich. Dort am grossen, mit Leder bezogenen Tisch, werden die Zettel ausgezählt. Die Weibel bringen die Urnen, dann heisst es: „Eins, zwei, drei“ und die Stimmzettel werden gleichzeitig auf den Tisch geleert. Noch ein kurzer Kontrollblick in die Urnen, ob kein Blatt hängen geblieben ist und die Weibel verlassen das Zimmer. Dann wird ausgezählt.
Die Stimmenzähler greifen nach den Zetteln, stapeln sie auf. Alles unter den wachsamen Augen der Verwaltung. Ab und zu gibt es Fragen: „Ist dieser Zettel ungültig, leer oder kann jemand den eindeutigen Wählerwillen dieses Parlamentariers erkennen und das Gekritzel entziffern?“
Als Stimmenzählerin bekomme ich alles 1:1 mit. Es ist für mich eine spannende und interessante Aufgabe, Trends zu sehen, Personen zu kennen, deren Namen nicht genannt werden, weil sie zu wenig Stimmen erhielten, usw.
„Gewählt ist, mit 125 Stimmen: Ignazio Cassis!“ Auf diesen Satz aus dem Mund des Nationalratspräsidenten haben alle gewartet. Danach gibt es noch einmal einen Schub Mitteilungen, Statements, Kommentare und Aussagen. Anschliessend wird es langsam still und leer im Bundeshaus. Normalität kehrt wieder ein. Kabel und Kameras verschwinden über Nacht...
Was erwartet uns nun mit dem neuen Bundesrat Ignazio Cassis? Ich gehe davon aus, dass der Bundesrat mit ihm eine „bürgerliche Note“ bekommt, was dringend notwendig ist. Mit dem Thema Entwicklungshilfe (11,5 Milliarden Franken) und der Migrationspolitik warten wichtige und dringende Aufgaben auf ihn. Doch als neuer Aussenminister muss er sich prioritär dem heikelsten Dossier widmen: Den Verhandlungen mit der EU! Cassis hat bereits signalisiert, dass er diesbezüglich den Weg von alt Bundesrat Burkhalter nicht weitergehen will. Ihn erwartet aber eine Art „Quadratur des Kreises“, denn die Bevölkerung will keinen EU- Beitritt durch die Hintertüre und kein „institutionelles Rahmenabkommen“ mit der EU. Hier gilt es für den Bundesrat Selbstbewusstsein und Rückgrat zu zeigen. Ob Ignazio Cassis dieser Mammutaufgabe gewachsen ist, wird sich zeigen.
Sehen wir doch der Realität ins Auge: Auch in der EU vertritt fast jedes Land seine eigenen Interessen. Warum sollte ausgerechnet die Schweiz, als Nicht-EU-Mitglied, immer einen Knicks vor der EU machen und klein beigeben? Auch wir Schweizerinnen und Schweizer haben ein Recht, unsere Interessen wahrzunehmen und bestmöglichst zu verteidigen! Auf jeden Fall dürfen wir mit dem neuen Bundesrat hoffnungsvoll in die Zukunft blicken!
Veröffentlicht im WILLISAUER BOTE, am 14. November 2017